Gruppenbild 2023

Ex­per­ten-Work-Shop «Assistierter Suizid und Suizidprävention in Deutschland, Österreich und der Schweiz», Schloss Hofen, Lochau (A), vom 25. bis 27. August 2023

„Vom 25. bis 27. August 2023 fand auf Schloss Hofen ein in­ter­dis­zi­pli­nä­rer und in­ter­pro­fes­sio­nel­ler  Ex­per­ten-Work-Shop zum Thema «Assistierter Suizid und Suizidprävention in Deutschland, Österreich und der Schweiz» statt. Wunsch und Entschluss, diesen zu veranstalten, entstand aus dem Autorenkollektiv des Fachartikels «Assistierter Suizid und Autonomie – ein Widerspruch?»[1] Neben den bisherigen Erfahrungen und den gesetzlichen Rahmenbedingungen in den verschiedenen Ländern und der historischen Einordnung der «Sterbehilfe» standen das in der öffentlichen Diskussion verkürzte Autonomieverständnis, die mangelnde Wahrnehmung der seelischen Not des um assistierten Suizid Nachfragenden und praktische Fragen der Suizidprävention beim assistierten Suizid im Zentrum.

Ausgehend von Experten-Inputs mit theoretischen wie praktischen Schwerpunkten wurde intensiv diskutiert. Es wurde deutlich, dass die unterschiedlichen legislativen und historischen Voraussetzungen in den drei deutschsprachigen Ländern Einflüsse auf den Diskussionsprozess und die Beiträge zeigten. Mit dem Bemühen um einen ausgewogenen Konsens ist ein Abschluss-Dokument verfasst worden, das im Folgenden veröffentlicht wird.

Einheitlich waren Diskussion und Thesen-Verfassung von der Haltung getragen, dass die Prävention von Suiziden ein voranzustellender Wert ist. Allen mit einem Sterbewunsch befassten Menschen soll umfassende psychosoziale und medizinische Hilfestellung und Versorgung bei ihrer Problemstellung und Leidenssituation verfügbar gemacht werden, um –in einem relationalen Sinn – für sich tatsächlich so frei und autonom als möglich entscheiden zu können.

Das Abschlussdokument soll Personen, die im herausfordernden beruflichen Alltag um einen menschlich angemessenen Umgang mit dem schwierigen Problem des Suizids und der «Sterbehilfe» ringen, Unterstützung und Orientierung im Hinblick auf ihr Vorgehen vermitteln. Die Thesen sind zugleich eine Handreichung für alle, die in der öffentlichen Auseinandersetzung um die «Sterbehilfe» stehen.

Im Prozess der Auseinandersetzung mit der komplexen und schwierigen Thematik wurde mit der Tagung und den Thesen ein wichtiger Schritt in der Vernetzung von Praktiker:innen, Wissenschaftler:innen und Theoretiker:innen der drei Länder gesetzt. Der Prozess soll weitergetragen werden, Folgeveranstaltungen und weiterführende Stellungnahmen sind geplant. Zu diesem Zweck wurde das „D-A-CH Forum Suizidprävention und assistierter Suizid“ gegründet.

Die The­sen kön­nen wei­ter­hin von Ein­zel­per­so­nen und Or­ga­ni­sa­tio­nen unterstützt wer­den. Dies kann über die Website www.d-a-ch-forum.org geschehen, weitere Auskünfte erhalten Sie über die un­ten­ste­hen­den E-Mail-Adres­sen.

Deutschland: Ute Lewitzka
Österreich: Thomas Kapitany, Christa Rados
Schweiz: Raimund Klesse


SCHLOSS HOFENER THESEN 2023 ZU SUIZID-PRÄVENTION UND ASSISTIERTEM SUIZID

Die folgenden Thesen wurden von den Teilnehmern des Experten-Workshops «Assistierter Suizid und Suizidprävention in Deutschland, Österreich und der Schweiz» vom 25. bis 27. August in Schloss Hofen, Lochau (A), verabschiedet und werden von diversen Organisationen der drei Länder unterstützt.

Das Verhältnis einer Gesellschaft zum Suizid und der Umgang damit sind ein Maßstab für die Humanität des Umgangs miteinander, für die Achtung des menschlichen Lebens und die gelebte Solidarität ihrer Mitglieder. Das gilt für Menschen in Not, insbesondere für alte Menschen, Menschen mit schweren psychischen und körperlichen Beeinträchtigungen und sozial benachteiligte und bedrohte Menschen. Die aktuelle öffentliche Diskussion erfordert, die innerpsychische und soziale Realität suizidalen Erlebens und Verhaltens sichtbar zu machen. Daher gilt es, Fehlinformationen und Mythen auszuräumen. Immer wieder stößt man dabei auf ein verkürztes Autonomieverständnis. Dieses blendet wichtige Aspekte der ethischen und humanistischen Tradition des Autonomiebegriffs aus und lässt die Forschungsergebnisse und Erfahrungswerte aus Anthropologie, Kulturanthropologie, Entwicklungspsychologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Suizidprävention und Palliativversorgung weitgehend außer Acht.

Ein Innehalten und Nachdenken ist notwendig. Die Unterzeichnenden fordern, die folgenden Thesen in konkretes gesamtgesellschaftliches und politisches Handeln umzusetzen:

  • Es ist nicht Aufgabe einer Gesellschaft, den (assistierten) Suizid zu fördern. Der Staat ist verpflichtet, das Wohl und den Schutz der Menschen zu gewährleisten.
  • Die Hilfe zum Leben muss Vorrang haben. Jeder Mensch in einer suizidalen Krise muss eine angemessene mitmenschliche und fachliche Unterstützung erhalten.
  • Die Suizidprävention muss ausgebaut, verstärkt und in die Gesellschaft integriert sein. Entsprechende finanzielle Mittel müssen bereitgestellt werden. Weiter bedarf es einer gesetzlichen Verankerung der Suizidprävention und deren rascher Umsetzung. Suizidprävention richtet sich ebenso an Menschen mit einem Wunsch nach assistiertem Suizid.
  • Assistierter Suizid ist keine ärztliche und keine pflegerische Aufgabe. Institutionen des Gesundheits- und Sozialwesens dürfen nicht dazu verpflichtet werden, assistierte Suizide zuzulassen oder zu unterstützen. Die Gesundheitsberufe haben eine besondere Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und dem einzelnen Individuum in Not. Jegliche Vereinnahmung der Gesundheitsfachberufe zur Mitwirkung an assistierten Suiziden ist abzulehnen.
  • Die Erkenntnisse zur Suizidprävention aus Forschung und Praxis, zu assistiertem Suizid und Autonomie, aus der Palliativversorgung und Hospizarbeit sollen in Rechtsprechung, Politik, Ethik und Medien berücksichtigt und allgemein bekannt gemacht werden. Die gesellschaftliche Aufklärung und Diskussion ist dringend notwendig.
  • Die Erkenntnisse aus der Suizidforschung müssen in alle Disziplinen, die mit Wünschen nach assistiertem Suizid konfrontiert werden, einfließen und obligatorische Ausbildungsinhalte werden.
  • Niedrigschwellige, d.h. rasch verfügbare und für Nutzerinnen und Nutzer kostenfreie institutionelle Angebote der Krisenintervention müssen flächendeckend ausgebaut und verfügbar gemacht werden.
  • Hospiz- und Palliativversorgung muss allen Menschen, die diese benötigen, ohne Einschränkung und Vorbedingung zur Verfügung stehen. Der Anspruch darauf ist gesetzlich zu verankern. Es besteht die Notwendigkeit einer umfassenden und stetigen Information und Aufklärung der Bevölkerung über palliative und hospizliche Angebote.
  • Forschung über den assistierten Suizid und dessen Folgen für Angehörige und weitere Betroffene ist notwendig. Die Motive von Betroffenen und Suizidassistierenden sollen untersucht werden, ebenso wie die Auswirkungen auf die Gesellschaft. Voraussetzung dafür ist die zeitnahe, umfassende Erhebung und Dokumentation der assistierten Suizide.
  • Die bestehenden Medienempfehlungen über die Berichterstattung zum Suizid und zur Darstellung des Suizids in Medienproduktionen inklusive der neuen Medien müssen umfassend verbreitet und berücksichtigt werden. Das betrifft sowohl die Nachrichten- und Hintergrundberichterstattung als auch Unterhaltungsmedien und die Werbung. Genauso gilt das für Produktionen und die Berichterstattung zum assistierten Suizid.
  • Niemand darf genötigt, dahingehend beeinflusst oder gedrängt werden, Angebote der Suizidassistenz zu nutzen, weil Unterstützung oder Hilfen nicht zur Verfügung stehen oder gar verweigert werden. Es besteht die Gefahr, dass der assistierte Suizid mit dem Ziel verbunden wird, Kosten im Gesundheitswesen oder der Altersvorsorge zu senken, Angebote im Bereich der Betreuung alter Menschen oder der Palliativmedizin in Quantität und Qualität nicht auszubauen oder generell Maßnahmen der sozialen Sicherheit und Daseinsfürsorge einzuschränken.
  • Finanzielle Mittel für eine adäquate personelle Betreuung und Pflege älterer und anderer betreuungsbedürftiger Menschen zu Hause und in Institutionen müssen ausreichend zur Verfügung gestellt werden. Modelle sorgender Gemeinschaften müssen vermehrt gefördert werden, z. B. Mehrgenerationenhäuser, verbesserte Demenzbetreuung, Nachbarschaftshilfe.

[1] Raimund Klesse, Martin Teising, Ute Lewitzka, Peter Bäurle, Luc Ciompi, Georg Fiedler, Isabella Justiniano†, Thomas Kapitany, Reinhard Lindner, Susanne Lippmann-Rieder, Thomas Niederkrotenthaler, Christa Rados, Barbara Schneider & Manfred Wolfersdorf. Assistierter Suizid und Autonomie – ein Widerspruch? psychosozial 45. Jg. (2022) Heft III (Nr. 169)
https://doi.org/10.30820/0171-3434-2022-3-ASps169
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Assistierter Suizidund Autonomie